Oberösterreich ist ein Land der Flügelaltäre. Ungefähr 2.000
gotische Flügelaltäre hat es einst im Land gegeben. Oberösterreich ist
zwar nicht das Land, in welchem sich bis heute die meisten Flügelaltäre
erhalten haben, aber einige der schönsten, darunter zwei der
bedeutendsten überhaupt, der Kefermarkter Altar und der Pacher-Altar von
St. Wolfgang.
Wie überall wurde auch in Oberösterreich im ersten Jahrtausend nach
Christus die Messe so wie heute zum Volk zelebriert, was jede Art von
Altaraufsatz ausschloss. Erst als die Priester begannen, die Messe mit
dem Rücken zu den Gläubigen zu lesen, konnten die Altartische auf einer
Seite mit einem gemalten oder geschnitzten Aufbau versehen werden. Es
dauerte aber noch mehrere Jahrhunderte, bis das entstand, was wir heute
als Flügelaltar bezeichnen. So ein Altaraufsatz bestand normalerweise
aus einem Unterbau, der damals als „Sarg“, später als Predella
bezeichnet wurde. Darüber ruhte der Corpus oder Schrein, mit je einem
Flügel, bei großen Altären wie in St. Wolfgang oder Hallstatt aber auch
mit zwei Flügelpaaren. Den oberen Abschluss bildete meist ein Aufsatz,
das Gesprenge. Es gibt Altäre, die nur gemalt und solche, die nur
geschnitzt sind, meist aber wirkten an ihrer Entstehung Maler und
Bildhauer zusammen.
Hierzulande dürften bis um 1450 die gemalten Altäre vorherrschend
gewesen sein. Später enthielt der Schrein dann Figuren oder sogar eine
szenische Figurengruppe wie die Marienkrönung im Altar von St. Wolfgang.
Je nach ihrer Bestimmung waren Flügelaltäre klein oder reichten bis zum
Gewölbe der Kirche.
Oberösterreich besitzt heute noch über vierhundert Kirchen, die
zumindest im Kern aus der Zeit der Gotik stammen. Jeder dieser Bauten
enthielt einst drei, manchmal auch fünf oder sieben Altäre, in
Einzelfällen aber auch erheblich mehr. So besaß die Stadtpfarrkirche von
Freistadt vor den beiden Bränden von 1507 und 1516 nicht weniger als
siebzehn Altäre.
Mit ähnlichen Zahlen wird auch bei den übrigen großen Stadt- und
Stiftskirchen zu rechnen sein, sodass sich ein ursprünglicher Bestand
von etwa 2.000 Altären ergibt. Das ist dieselbe Anzahl, die auch für das
„klassische“ Gotik-Land Tirol angenommen wird. Davon sind allerdings
nur weniger als ein Prozent vollständig oder doch zumindest in
wesentlichen Teilen erhalten.
Oft war es eine beherzte Aktion von Einzelnen, die gotische Werke
vor der Vernichtung bewahrte. Das gilt etwa für den Kreuzaltar in der
Pfarrkirche von Hallstatt, der seine Erhaltung einem Bergmann verdankt.
Dieser bewahrte das Werk um 1750 auf, statt es wie angeordnet zu
Brennholz zu zersägen. Ein halbes Jahrhundert später war auch der große
Hallstätter Marienaltar in höchster Gefahr. Er sollte nämlich 1799 durch
einen der Barockaltäre aus der Stiftskirche von Mondsee ersetzt werden,
was nur deshalb unterblieb, weil kein Geld für Abbruch und Transport
aufzutreiben war.
In St. Wolfgang war es ein kunstverständiger Pfarrer, der sich 1787
weigerte, in die Predella wie vorgeschrieben einen Tabernakel einbauen
zu lassen. Seine Begründung war, dass „unser Hochaltar der schönste ist,
so ich jemals gesehen hab“. Man darf wohl davon ausgehen, dass der
kunstsinnige Herr zu den Lesern von Goethes 1773 erschienenem, für das
Verständnis der Gotik bahnbrechenden Aufsatz Von deutscher Baukunst
gehörte. Später erhielt auch das Retabel von Kefermarkt erste lobende
Worte, und zwar 1818, als Gräfin Lulu von Thürheim gemeinsam mit ihrer
Nichte Therese die dortige „Kirche mit ihrem herrlichen Altar“ besuchte.
Noch während die letzten gotischen Altäre zerstört wurden, begann
bereits anderswo der Aufbau der ersten Gotik-Sammlungen, vor allem in
den Stiften St. Florian, Kremsmünster und Schlägl. Im Linzer Schloss
befanden sich im 18. Jahrhundert unglaubliche 120 „theils altgottische,
theils andere gemählde von Albrecht Dürr [Dürer] und nach dessen arth
gemahlen“, von denen 1764 immerhin noch 52 vorhanden waren. Tatsächlich
galten ja viele Werke der Spätgotik und der Donauschule, so auch die
Bilder des Altdorfer-Altars in St. Florian, damals als Arbeiten Dürers.
Man ahnt, was alles im Jahr 1800 beim Linzer Stadtbrand zugrunde
gegangen sein muss. Gewissermaßen im letzten Augenblick bot schließlich
auch die Gründung des Oberösterreichischen Landesmuseums vielen Werken
der Gotik eine neue Heimstätte.
Heute sind Flügelaltäre vor allem durch Diebstähle bedroht. So wurde
in Pesenbach ja nicht nur die entzückende Sitzmadonna, sondern auch die
Marienfigur aus dem Gesprenge des Hochaltars gestohlen, und in
Hallstatt rissen Diebe die beiden Flügel des Kreuzaltars herunter und
beschädigten dabei auch den verbliebenen Mittelteil. Leider ist keines
dieser Werke je wieder aufgetaucht.
Heute besitzt Oberösterreich zwar nicht die meisten, wohl aber die
beiden bedeutendsten Flügelaltäre der österreichischen Spätgotik,
nämlich den Pacher-Altar in St. Wolfgang und den Altar von Kefermarkt.
Ihre Herkunft aus Bruneck beziehungsweise aus Passau nennt zugleich auch
zwei der bedeutendsten Zentren der Altarherstellung, nämlich Tirol und
Süddeutschland. Urkunden belegen, dass damals erheblich mehr Maler als
Bildhauer tätig waren. Einige Maler arbeiteten gleichzeitig auch als
Schnitzer, doch dürften Doppelbegabungen wie jene Michael Pachers die
große Ausnahme gewesen sein.
Weblink:
Das Land der Flügelaltäre -
www.ooegeschichte.at